Warum 45.000 Kilometer mit dem Fahrrad?


Plan- und zwanglos auf dem Weg zu einem Traum

Wie kommt man auf die Idee, seinen wirklich guten Job aufzugeben, um statt dessen mit dem Fahrrad um die Welt zu fahren?

Dies ist wohl die mir am häufigsten gestellte Frage. Sie ist auch gar nicht so einfach zu beantworten. Gründe? Da ist meine Lust auf Abenteuer. Und da ist mein unbändiges Interesse, fremde Menschen und Kulturen kennenzulernen. Und da ist die Angst, jeden Tag das gleiche zu machen und am Jahresende nicht zu wissen, was man eigentlich das ganze Jahr über gemacht hat.

Ein Grund, doch lieber auf diese Tour zu verzichten, war mein Lauftalent. Meinen ersten Marathon lief ich in zwei Stunden und 48 Minuten. Diese Zeit hätte ich durch intensives Training während dieser zwei Jahre sicher noch um einiges verbessern können. Da mein Trainer mir aber sagte, ich könne die Tour durchaus als Grundlagentraining benutzen, stand meinem geplanten Abenteuer nichts mehr im Wege. Familie hatte ich noch keine und die Freundin? Nun, die konnte mitkommen, auf mich warten oder sich jemand Anderen suchen. Und tschüss!

Ich habe schon viele Reisebeschreibungen gelesen. Oft gingen diesen Reisen lange Vorbereitungsphasen von mehreren Jahren voraus. Ebenso oft aber kam es dann doch ganz anders als geplant. So beschloss ich, einfach loszufahren. Ohne besonderen Plan. Mein einziges Ziel: Einfach in Richtung Osten radeln, um irgendwann nach irgendeiner Route in Australien anzukommen. Denn dort wollte ich auf jeden Fall hin.

Das Wichtigste dafür: ein hochwertiges Fahrrad, das den Strapazen einer solchen Reise gewachsen war. Nach einiger Suche fand ich ein Rad, das meinen Ansprüchen gerecht wurde: Tornado von Winora mit Shimano LX, XT Ausstattung und der seinerzeit gerade auf den Markt gekommenen Gripshiftschaltung. Nachdem ich das Rad eingefahren hatte, mich an den Sattel gewöhnt hatte, die Schaltung nachgestellt und die Speichen nachgezogen waren, konnte es losgehen. Es war Hochsommer. Und so entschloss ich mich - statt in den warmen Süden zu fahren - zunächst im kühleren Norden zu bleiben. Am 06. August 1995 startete ich in Aerzen bei Hameln zu einer Reise, von der ich zu diesem Zeitpunkt nur hoffte, dass sie mich zunächst über Skandinavien nach Russland führen würde.

Eine kurze Leseprobe aus meinem Buch:

NORWEGEN


Mit gemischten Gefühlen verlasse ich die riesige Fähre in Egersund. Ein wenig fürchte ich mich schon vor dem Wetter im hohen Norden Europas. Und auch die Fjorde und Berge, die ich bereits vom Schiff aus bewundern konnte, werden sicher nicht so leicht zu befahren sein, wie der Norden Deutschlands oder Dänemark.

Stavanger ist mit knapp 100.000 Einwohnern die viertgrößte Stadt Norwegens und obendrein mit einer Stadtgeschichte von 870 Jahren eine der Ältesten. Ich schlendere durch die Altstadt. Mit ihren schmalen Gassen und den für Norwegen so typischen, ganz in weiß gestrichenen Holzhäusern lädt sie zum Bummeln ein. Photo Leider gibt es hier nur noch ein wenig mehr als 50 dieser Häuser. Alle anderen wurden bei einem Großbrand im Jahr 1864 zerstört. Es ist schön, mal wieder in Ruhe durch eine Stadt zu schlendern. Aber schon schnell zieht es mich wieder hinaus in die Natur.

Ich mache mich auf den Weg zu einem Höhepunkt Norwegens, dem Prekestolen. Hier angekommen, habe ich nach zehn Tagen bereits die ersten 1.000 Kilometer auf meinem Drahtesel zurückgelegt. Als erstes fallen mir die riesigen Parkplätze auf, was mir die Entscheidung leicht macht, schon sehr früh am Morgen aufzubrechen. Es ist kein leichter Weg zu dieser prächtigen Felsklippe, doch ich werde von der Natur entschädigt. Immer wieder komme ich an Teichen vorbei, die zum Baden einladen. Als ich jedoch meine Hand in das Wasser tauche, ändert sich mein Plan, Hineinzuspringen, um mich schnell ein bißchen zu erfrischen... Ich wandere weiter um den Berg herum und sehe ihn tief unter mir blau schimmernd liegen: den Lysefjord. Aber das Gewaltigste ist der Prekestolen selbst. Ein Felsvorsprung, der wie eine überdimensionale ebene Stuhlfläche(=Stolen) erscheint. Photo Ich stehe jetzt direkt an der Kante und genieße das leichte Kribbeln im Bauch. Geländer, wie sie in Deutschland schon längst installiert worden wären, gibt es hier nicht. Ein Schritt weiter und ich käme in den im wahrsten Sinne des Wortes einmaligen Genuss eines Freifalles, bevor ich nach 600 Metern auf die Felsen aufschlagen würde. Ein Passagierboot sieht von hier oben aus wie ein Spielzeug. Andere Touristen erreichen dieses Naturschauspiel zwei Stunden nach mir und wecken mich aus meinem Tagtraum. Einige kriechen bis zum Rand, andere Mutige setzen sich auf die Klippe. Für mich wird es Zeit diesen wunderbaren Platz zu verlassen, denn es strömen immer mehr Menschen herbei. Viel lieber möchte ich nun in einem der stillen Seen ein erfrischendes Bad nehmen.

Wieder auf dem Rad geht es am Meer entlang, bis ich einen herrlichen Platz für mein Zelt finde. Die Sonne strahlt mir zwischen schwarz erscheinenden Inseln und glutrotem Meer direkt durch den Zelteingang ins Gesicht, bevor sie zischend im Wasser untertaucht.

Der nächste Tag beginnt mit einem kleinen Abenteuer. Der Tunnel hat es wirklich in sich. Mit Volldampf radele ich hinein und ... sehe nichts mehr. Mein Licht vom Dynamo wird einfach von den dunklen, nicht gestrichenen Wänden geschluckt. Zudem macht der Tunnel einen Bogen, so dass auch kein Schimmer vom Eingang zu sehen ist. Ich versuche mein Glück Fahrradschiebenderweise zu Fuß, doch ich laufe einfach gegen die Wand. Dank meiner Taschenlampe schaffe ich die Durchquerung dann doch.

Zwei deutsche Radler, die durch Norwegen fahren, begleiten mich ein Stück auf meinem Weg. Die beiden sind ganz nett, doch ihr Tempo ist mir einfach zu langsam. In Sauda treffe ich dann Ruth und Gerald wieder, die ich schon auf der Fähre kennengelernt habe. Sie versuchen ihr Anglerglück und werden mich wohl am Abend mit ihrem umgebauten VW Bulli wieder überholen. Der Weg führt mich durch ein enge Schlucht, wo ich kaum zu hoffen wage, einen Zeltplatz zu finden, der ein wenig von der Straße abliegt. Doch das Glück ist mir mehr als hold. Zuerst finde ich einen herrlichen Campingplatz, dann treffe ich Ruth und Gerald mit frisch gefangenen Fischen wieder.

Am nächsten Tag nieselt es und meine Laune ist nicht die Beste. Zwei Tunnels liegen vor mir. Der Längere misst viereinhalb Kilometer. Die Luft ist atemberaubend schlecht. Wie froh bin ich, als ich das Licht am Ende des Tunnels sehe und mich die Sonne sticht, als ich herausradele. Die Wettfahrt mit einem Wohnmobil hinab zum Störfjorden kann ich dann klar für mich entscheiden und die schlechte Laune vom Morgen ist schon lange vergessen, zumal jetzt noch zwei herrliche Wasserfälle(Lätefossen und Espelandsfoss) von den Bergen herunter donnern. Die ersten Gletscher lugen an den Seiten der Berge hervor. Als ich am Störfjorden entlang fahre, liegt links neben mir der Hardangervidder. Eine riesige Hochebene, aus der zwar auch einige Berge herausragen, die aber fast nie unter tausend Höhenmeter absinkt. Ich deponiere mein Rad auf dem Campingplatz, bepacke meinen kleinen Rucksack mit Zelt und Lebensmitteln und gönne mir eine Abwechslung vom Radeln. Der Weg windet sich an Klippen und einigen Wasserfällen vorbei. Beim Photografieren verliere ich meine Schutzkappe. Sie hüpft die ersten Felsen hinunter und bleibt auf einem Vorsprung liegen. Mich muss der Teufel geritten haben, als ich einfach hinterher kletterte. Denn um ein Haar wäre meine Tour hier zu Ende gewesen, bevor sie richtig angefangen hatte. Und das wegen einer Schutzkappe, die ich in jedem Laden für 8 DM kaufen kann. Oben auf der Hochebene geht es vorbei an Seen, Moorflächen, Tümpeln, Wasserfällen, Hügeln und Bergen. Eine Schneefläche versperrt mir den Weg und ich bin mir nicht sicher, ob ich noch auf der richtigen Route bin. Es erscheint mir ziemlich gefährlich, das hart gefrorene, mit 45 Grad zum eiskalten Wasser abfallende Schneefeld zu überqueren. Als ich endlich auf der anderen Seite ankomme, entdecke ich die Fußspuren derer, die vernünftigerweise über den Bergrücken gekommen sind.